Oliver Drechsel

Victor Bruns: Fünf Stücke für Fagott und Klavier op. 12 (Erstausgabe)

Erstausgabe durch Oliver Drechsel und Berthold Große (Hg.); Accolade Musikverlag, ACC.1706; EUR 20,-

 

1. Andantino
2. Humoresk
3. Ruhige Weise
4. Expromt
5. Rondo

 

Warum Victor Bruns? Bereits als heranwachsender Fagottschüler begeisterte ich mich für die Musik von Victor Bruns: ein kleines „Moderato“, welches ich im Musikschulunterricht spielte, veranlasste mich damaligen Fagott-Teenager ihm einen Brief zu schreiben um meiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Fand
ich doch Takt 12 und 13 besonders gelungen… nicht nur ein liebevoller Antwortbrief, auch ein Packen Noten waren seine Antwort. Verbunden mit der innigen Ermunterung das Fagottstudium unbedingt weiter zu betreiben und ein „richtiger Fagottist“ zu werden.
So war Victor Bruns; ein selten gütiger, herzlicher, bescheidener und froher Mensch. Am 15. August 1904 wurde er im heute in Finnland liegenden Örtchen Ollila, wo sich schon seine seit dem 18. Jahrhundert in St. Petersburg lebenden deutschen Vorfahren und auch seine Eltern regelmäßig in der Sommerfrische aufhielten, geboren. Obschon er durch sein Elternhaus eine starke musikalische Prägung erfuhr nahm er zunächst ein naturwissenschaftliches Studium auf. Im Liebhaberorchester der Technischen Hochschule St. Petersburg entdeckte Victor Bruns das Fagott als seine eigentliche Berufung. Bis er nach seinem Fagottstudium 1927 zweiter
Fagottist an der Staatsoper Leningrad wurde, finanzierte er sich sein Studium unter anderem als Stummfilmpianist.
Ein neben der Orchestertätigkeit betriebenes Kompositionsstudium bei Wladimir Schtscherbatschow, schloss Bruns 1933 mit der Uraufführung seines ersten Fagottkonzertes ab, wobei er selbst den Solopart spielte und von den Leningrader Philharmonikern begleitet wurde. Im Jahre 1938 wurde die gesamte Familie Bruns als „Reichsdeutsche“ aus der Sowjetunion ausgewiesen.
Nachdem Victor in Berlin zunächst Beschäftigung als Notenkopist und Aushilfsmusiker fand, bekam er nach Wehrdienst in der Endphase des zweiten Weltkrieges und
russischer Kriegsgefangenschaft, aus der er Ende 1945 entlassen wurde, eine Stelle als zweiter Fagottist der Berliner Staatskapelle, die er bis zu seiner Pensionierung 1969 innehatte. Doch widmete er in allen Jahren dem Komponieren stets viel Zeit und Aufmerksamkeit.
Neben einigen erfolgreich im In- und Ausland aufgeführten Ballettmusiken schuf Victor Bruns mehr als 20 Solokonzerte und 50 Kammermusiken, die häufig auf den Wunsch renommierter Künstler zurückgehen. 1960 mit dem Kunstpreis der DDR geehrt, erfolgte 1971 erfolgte seine Ernennung zum Ehrenmitglied der Berliner Staatskapelle und 20 Jahre später zum Ehrenmitglied der in den USA ansässigen International Double Reed Society. Im Jahre 1996 verstarb der bis ins hohe Alter im Berliner Stadtbezirk Treptow lebende Victor Bruns, verehrt von Fagottisten in aller Welt.

Die hier erstmals, nun komplett vorliegenden Fünf Stücke für Fagott und Klavier opus 12 aus dem Jahr 1939 haben ebenfalls eine wechselvolle Geschichte hinter sich:
die Nr. 1, Andantino, war Victor Bruns bereits früh durch ungeklärte Umstände verloren gegangen. Er überließ daher später seinem Verleger die verbliebenen 4 Stücke mit der Idee sie einfach als „4 Stücke für Fagott und Klavier“ herauszugeben, wozu es jedoch nie kam. Stattdessen schlummerten die 4 Stücke lange Jahre im Wandschrank, bis ich auf meiner Suche vor einigen Jahren durch einen glücklichen Zufall einer Kopie der fehlenden Nr. 1 habhaft werden konnte. Diese wiederum
fristete nämlich bei einem anderen Kollegen ein karges Dasein im Regal, nie aufgeführt… denn wie der Kollege selbst sagte: „da fehlen ja leider die restlichen 4 Stücke“. Damit war die Zusammenführung gelungen und durch die Vereinigung der 1+4 Stücke war die Komposition wieder komplett. Das Puzzle war endlich vollständig und ich habe die 5 Stücke seither sehr erfolgreich mit meinem Klavierpartner Oliver Drechsel aufgeführt sowie als Weltersteinspielung im Label Capriccio/Wien in einerKoproduktion mit Deutschlandfunk Kultur auf CD aufgenommen. Diese wunderbare Komposition der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit gegenüber Victor Bruns, dessen kompositorisches Werk damit um eine Facette reicher fortlebt. Darum: Victor Bruns!
(Berthold Große 2017)